Der gebrauchte Jude: Ein Selbstportrait (German Edition) by Biller Maxim

Der gebrauchte Jude: Ein Selbstportrait (German Edition) by Biller Maxim

Autor:Biller, Maxim [Biller, Maxim]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Kiepenheuer & Witsch Verlag
veröffentlicht: 2014-08-18T16:00:00+00:00


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Donnys Vater war aus Buczacz, wie mein Großvater, aber das fand ich erst später heraus. Er war groß – für einen Juden zu groß –, er hinkte, weil sein linker Fuß zu kurz war und in einem schweren, schwarzen, orthopädischen Schuh steckte, und er hielt mich für einen Kommunisten. Er sah mich an, als sollte ich es nicht merken, redete drei unverständliche Sätze jiddisch mit mir – und dann zog er Donny auf den Balkon raus und meinte zu ihm, er solle sich hüten vor mir, solche Kerle wie ich seien früher ins Schtetl gekommen, hätten Gott beleidigt und den Juden mit entsichertem Revolver die Beitrittsformulare für die Partei auf den Küchentisch geknallt. So war das in den ersten Minuten bei Donnys Eltern in der Eschersheimer Landstraße. Später sah Herr Gold mich gar nicht mehr an und sagte höchstens etwas in meine Richtung, wenn ich zwischen ihm und der Schüssel mit der gehackten Leber saß. Ich kam trotzdem fast jeden Schabbat zum Essen, denn ich war genauso stur wie er.

In der Wohnung von Donnys Eltern gab es ein paar silberne und goldene Menoras, die so neu glänzten, als hätten sie noch letzte Woche in einem Andenkenladen |95| in Jaffa gestanden. Sie stammten von Sotheby’s in London und waren dreihundert Jahre alt, und jede kostete fast so viel wie ein Auto. Im Wohnzimmer, neben dem langen Esstisch, der jeden Freitagabend um zehn so aussah, als hätte hier jemand Hochzeit gefeiert, hing an der Wand ein polnischer Vorkriegsrabbiner, der wahrscheinlich deshalb immer so sauer war, weil er wusste, wo und wie er enden würde. Er sah uns neidisch beim Essen zu – Donny, mir, Donnys Bruder Harry, Donnys Schwester Hilmi, seinem Vater, seiner Mutter, ihrem behinderten Bruder Ruben, Anna, dem alten, ständig schwitzenden bayerischen Dienstmädchen, das zwischen den Gängen aufsprang und murmelnd in die Küche lief und mir manchmal ans Kinn fasste und sagte: »Ein gerissener Hund bist schon!« Nach dem Essen saßen wir auf den beiden Sofas im vorderen Teil des Esszimmers und sahen fern. Der Fernseher stand in einem riesigen braunen Schrank, und bevor man ihn anmachte, musste man die beiden Türen aufklappen wie bei einem Thoraschrein. Wir tranken Tee und aßen trockenen Kuchen, und wenn in den Nachrichten Israel kam, sagte Herr Gold »Schsch!«, und alle hörten sofort auf zu reden, nur Donny und Harry übersetzten, weil er wenig verstand.

Das erinnerte mich an etwas, das war fast wie bei meinen Eltern in Hamburg. Dort waren im Wohnzimmer auch zwei Sofas – die Ikonen gab es schon lange nicht mehr –, und auf der Marmorplatte über der Heizung standen inzwischen auch ein paar Menoras, aber nicht so teuer und alt wie die bei den Golds. An guten Abenden |96| saßen wir auf den beiden Sofas, meine Eltern, meine Schwester und ich, wir tranken Tee und sahen Nachrichten oder Derrick oder 3 nach 9 und wussten nicht mehr, dass wir in Deutschland waren. Das war bei den Golds anders, das vergaß man bei ihnen nie. Und wenn doch, schickte einem der böse, neidische Rabbiner aus seiner Ecke einen bohrenden, frechen Blick.



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